Das Puzzlespiel

Du hast mir vor etlichen Jahren ein Puzzlestück gezeigt, an langen, dürren Armen, mit spitzen Fingern mir zitternd gereicht. An Tagen, die schier endlos erschienen, wir saßen oft bis nach Mitternacht, mir schließlich den Sinn zu erklären versucht, den keiner zu verstehen befugt, von einem einzigen Menschen auch niemals zu erfassen. Du hast mir auch Deine Einführung, die in sehr seltenen Sprachen verfaßt, die allesamt unübersetzbar sind, nun allerdings nicht erspart. Es darf von all dem anderen, dem viel zu viele dienen, hier sowieso nicht die Rede sein. Was ohnehin keiner versteht, das hast Du um das Puzzlestück sozusagen herumgeflochten, daß es sich nun aber ständig, fast wie etwas Lebendiges, wie eine Art Organismus sich heftig dagegen wehrt, aus sich selbst verändernd, nur unter schrecklichsten Qualen sich innerlich schon fast zerreißt, damit es zu jenen Stücken paßt und an jene Regeln „glaubt“, die von dem Spiel längst vorherbestimmt.

Ich habe an meinem Puzzlestück nun all zu lange gesessen, kenne es wohl sehr genau. Das Merken jener Formen fällt mir im Grunde auch nicht schwer: Die kompliziertesten Teilungen, in ewige Pappe eingestanzt, abgeschliffene Ecken, und angespitzte Rundungen lehrten mir ihr Gesetz schon beinahe nebenbei. Denn stets muß man die Stücke verkehrt herum sich denken, muß sich ganz bewußt in sein Gegenüber versetzen, das man nur leider fast niemals erhält, wartet vielleicht ein Leben lang, um endlich jene gedachte Form, die in sich völlig verdreht, an irgend ein Puzzlestück anzuheften.

Nur wer diese Regeln kennt, natürlich aufs strengste befolgt, um sein Puzzlestück herum eine Art Veitstanz vollführt, stets im rechten Maß und Winkel um das Stück herum stolziert, nur ja keinem Menschen davon erzählt, und alle Gelübde aufs strengste erfüllt, darf am Ende wohl hoffen, daß er mit den Jahren noch einige dazu erhält.

Nun muß ich Dir allerdings sagen: Du hattest mir damals noch viele, rasch weitere Stücke versprochen! Und geschah es nicht in einem ehrlichen, überaus verbindlichen Ton? Ein oder zwei würden sicher bald folgen. Du warst darin nie zimperlich, das Blaue vom Himmel zu lügen. Nur so könne sich ein Bild, doch wenigstens ein kleines Detail schon sehr, sehr bald ergeben. Du kennst sogar welche, so hattest Du erzählt, es mir sogar schriftlich mitgeteilt, die haben schon wesentlich mehr, kennen zumindest welche, die welche kennen, die an einem Randstück, einem kleinen Zipfel des Puzzels schon mehrere Stücke vereinigen können, die würden schon fast etwas sehen.

Je einfacher die Form, die Enden eines Puzzlestücks, desto schwieriger paßt es hinein. Das glaube ich sogar noch heute. Ein jeder kennt doch seinen Teil, sein winziges, häßliches Stück, und weiß nicht woher es stammt, bewegt sich aber den ganzen Tag, die ganze Zeit auf eben jenem Puzzlestück, das ihm einst jemand zugewiesen, den er selber nie kennengelernt.

Und keiner weiß wirklich, ob alle Teile zusammengehören. Doch wer sie einmal ausgestanzt, der führt sie auch wieder zusammen. Und so entsteht wohl das Spiel: Die Spielregeln sind ungeklärt, Schiedsrichter gibt es keine und ebensowenig ist jener Bereich, der Tisch, auf dem es zusammengelegt, in irgend einer Weise bekannt/geklärt. Es bleibt aber das einzige, es gibt nämlich kein weiteres Spiel.

Nur eines, das muß ich Dir sagen, ganz dringend aber noch mitteilen: Ich hätte ohne das Puzzlespiel vielleicht sogar gelebt!